Roger Waters in Zürich

Rund 15 min lang starrten wir an den Rücken einer in eine Jacke gehüllte Person, die am Strand sass und aufs Meer blickte. Das Meer rauschte, die Grashalme wehten mal sanfter, mal fester im Wind. Sie änderte einmal nur wenig ihre Sitzposition. Gesänge erklangen ab Band, die ich so in etwa Richtung Balkan einordnen würde. Nach diesen rund 15min begann sich der Himmel über dem Meer plötzlich blutrot zu färben. Die 9-köpfige Band (Keyboard, Gitarren, Bass, Orgel + Synthies, Drums sowie 2 Backgroundsängerinnen) betrat die Bühne und begann mit dem Pink Floyd Song „Breathe“.

Die legendären Pink Floyd

Ich hatte heute die Chance bekommen Ex-Pink Floyd Mitglied Roger Waters auf seiner aktuellen „Us + Them Tour“ zum ersten Mal live zu sehen. Kennt ihr Pink Floyd? Ich gebe zu, abgesehen davon, dass Roger Waters „The Wall Live” Tour damals viel zu reden gab und mein Kollege sehr von ihm schwärmt, hatte ich weder von ihm noch von der britischen Rockband eine Ahnung.

Aber wieso nicht die Chance nutzen und etwas mehr über ihn und die legendären Pink Floyd zu lernen? Ich hab dann auch nicht gross vornweg reingehört. Ich bin einfach hin und habe mich überraschen lassen. Vielleicht hätt ich mich aber zumindest in die Pink Floyd / Roger Waters-Geschichte reinlesen sollen. Ein Bisschen überfahren fühlte ich mich dann am Ende nämlich schon…

Eine paar Facts, die womöglich gut zu wissen gewesen wären:

  • Die Britsiche Rockband wurde 1965 von Syd Barret, Richard Wright und Roger Waters unter dem Namen The Pink Floyd Sound gegründet.
  • Ihr Musikstil besteht aus Einflüssen von Progressive Rock, Blues, Jazz, klassischer und neuer Musik
  • 1967 veröffentlichten sie ihr erstes Album „The Pipers At The Gates Of Dawn“
  • 1968 änderten sie den Namen zu Pink Floyd
  • 1968 trat David Gilmore der Band bei, der dann auch Sänger Syd Barrett (der hatte psychische Probleme) ablöste
  • Ihre Musik und die visuelle Gestaltung ihrer Platten und Bühnenauftritte war unverwechselbar und neuartig
  • Ihr Album „Atom Heart Mother“ (VÖ: 1970) war ihr erstes Nr. 1 Album in UK
  • Die Texte zwischen 1973 (The Dark Side Of The Moon) und 1983 (The Final Cut) wurden mehrheitlich von Roger Waters geschrieben und setzten sich oft kritisch mit sozialen und politischen Themen auseinander.
  • 1985 stieg Roger Waters aus der Band aus
  • Nach dem Bandausstieg ging Waters gerichtlich gegen die anderen Bandmitglieder vor, weil diese alleine als Pink Floyd weiter machten. Waters unterlag dem Rechtsstreit und sie einigten sich 1987 aussergerichtlich
  • 2008 starb Richard Wright
  • 2015 bestätigte David Gilmore das endgültige Band aus
  • Die Band habe zwischen 260 und 300 Mio Tonträger verkauft
  • Das Konzeptalbum “The Dark Side Of the Moon” ist das weltweit drittmeistverkaufte Album und The Wall das meistverkaufte Doppelalbum
  • Roger Waters ist seit 2017 auf “Us + Them” Tour

Mal was anderes als sonst

Normalerweise würde ich ja Plätze ganz vorn bevorzugen, direkt vor der Bühne. Aber auf Roger Waters “Us + Them Tour” ist man definitiv mit Sitzplätzen in den Rängen besser bedient. Ihr merkt dann auch wieso. Und wir hatten wirklich Glück und unglaublich gute Plätze im Sektor T1 gekriegt.

Die ersten paar Songs enthielten sehr viele Instrumentalteile, davon viele einzelne Soli und eher wenig Gesang. Als mein Kollege vornweg progressiven Rock erwähnte, hatte ich ja schon so meine Vorstellungen und Befürchtungen, die bewahrheiteten sich aber überhaupt nicht.

Roger Waters spielte Bass und sang. Naja, als Weltklassesänger geht er nicht durch (aber das tun The Rolling Stones ja auch nicht 😉 ). Er wurde aber noch von zwei Backgroundsängerinnen, gekleidet in schwarzen Kleidchen und blonden Perücken, unterstützt. Und auch der eine Gitarrist übernahm so einige Leadvocals. Derweilen gingen die einzelnen Lieder teils so nahtlos ineinander über, ich verlor trotz vorhandener Setlist ganz schnell die Übersicht, welcher Song es denn gerade war. Das war bei Pink Floyd anscheinend Gang und Gäbe und zog sich durchs ganze Roger Waters Konzert.

Keine Aha-Momente

Unterdessen wurden die Songs von vielen Grafiken und Bildern auf der riesigen Leinwand im Hintergrund getragen. Das waren auch etwa Grossaufnahmen des laufenden Konzertes. So erkannte ich “Time” an den vielen Uhren, die einen entgegengeflogen kamen. Der Sternenhimmel gehörte offensichtlich zu “The Great Gig in the Sky” und verlief in “Welcome To The Machine” über. Bei manchen Bildern war nicht immer ganz klar, was damit ausgedrückt werden sollte. Bei anderen war es umso deutlicher.

Mit “Déjà vu”, “The Last Refugee” und “Picture That” folgten drei Songs seines aktuellen, 2017 veröffentlichten Albums “Is this the life we really want?”. Das waren die einzigen Solo-Songs während des Hauptsets. Der Rest waren Pink Floyd Songs. Erst später während der Zugabe folgten noch einige Lieder ab seinem neusten Album. Die kriegte ich aber nicht mehr mit.

Ich hatte ja angenommen, dass ich während des Konzertes einige “Aha-Momente” erleben würde. Bei vielen Bands, die länger im Business sind und ich glaubte, sie nicht zu kennen, erkannte ich jeweils ziemlich viele Lieder. Bei Pink Floyd war das nicht so. “Wish You Were Here” begann, Jubel ging durchs Publikum und ich meinte nur so zu meinem Kollegen “Ah, den müsste man wohl kennen?” 😉

Resist

War das Konzert bisher schon politisch gewesen, wurde es das von nun an erst recht. “Happiest Days Of Our Lives” ging in “Another Brick In The Wall” über. Das eine und offensichtlich einzige Lied, das ich von Pink Floyd kenne. Als das Licht anging, standen Kids in orangen Sträflingsoveralls und mit schwarzen Stoffsäcken über den Kopf auf der Bühne. Es seien Kids aus Zürich, die da auf der Bühne standen, verriet Waters am Ende.

Die Kids rissen sich die Säcke vom Kopf und begannen zu singen, reckten ihre Fäuste in die Luft und schrien “…Hey! Teachers! Leave us kids alone…”. Sie rissen sich dann auch die orangen Overalls vom Körper und es erschienen schwarze T-Shirts mit weisser Aufschrift “RESIST” – “wehrt euch”. Die Kids fingen an auf der Stelle zu marschieren und marschierten mit den Backgroundsängerinnen schliesslich in die Pause. Als Roger Waters zum Mikro griff, um die Pause anzukündigen, realisierte ich, es sind die ersten Worte an diesem Abend, die er zum Publikum sprach.

Auch in der Pause stand dann gross “RESIST” auf der Leinwand, auf das diverse politische Aussagen folgten. Darunter war auch “Resist Mark Zuckerberg”. Die Ironie dabei? Wahrscheinlich checkten gerade alle Facebook in der Pause und posteten möglicherweise sogar ein Bild davon auf Zuckerberg’s Plattform 😉

Jetzt fängt es erst richtig an

“Jetzt fängt die Show erst an!”, meinte mein Kollege, der am Tag davor das Konzert bereits gesehen hatte. Ein eindringlicher Warnalarm hallte durch die Arena, rote Lichter blinkten. Einmal quer durchs Hallenstadion, quer übers Publikum rüber von der Bühne bis ganz hinten, senkten sich Leinwände.

Genau deshalb waren für einmal die Plätze vor der Bühne nicht die besten. Weil, was nützt es dir, wenn du unter diesen Leinwänden sitzt? Gesehen hat man dort von diesem Showteil wohl nur wenig. Dabei waren die Grafiken ein wichtiger Teil der ganzen Inszenierung.

Der zweite Teil war extrem geprägt von der Politik – die Machthaber dieser Welt, der Krieg und dessen Opfer. Das Lieblingsthema offensichtlich Trump. Während “Dogs” verwandelten sich die heruntergelassenen Leinwände in die Fabrik vom “Animal” Albumcover. Das Schweinchen hing darüber und aus den hohen Schornsteinen kam sogar Rauch. Da staunte man.

Kleine Zwischeninfo: Wusstet ihr, dass wenn man mit dem Intercity vom Flughafen London-Gatwick nach Victoria-Station fährt, man kurz vor der Station direkt an dieser Fabrik vorbei kommt? Es ist die Battersea Powerstation. Ich muss mich das nächste Mal achten.

Das Lied ging nach etwa 10min in “Pigs” über und die Leinwände verwandelten sich in eine Protestwand gegen den aktuellen US-Präsidenten Trump. Ich würd es wohl sogar Hasstirade nennen. Bunte Farben und Grafiken flimmerten auf, die verunstaltete und karikaturistische Trump Bilder neben dem Wort “Charade” (“Scharade”) zeigten. Die Band trug Schweinchen-Masken und trank Champagner, bevor Waters selbst Schilder mit den Statements hochhielt und sich dafür bejubeln liess. Und plötzlich kam von hinter der Bühne auch noch ein riesiger, bunter Schweinchen-Ballon mit der Aufschrift “Bleibt Menschlich / Stay Human” geflogen und drehte seine Runde um die Leinwand. Widersprüchliche Trump Zitate wurden gegen Ende schliesslich noch eingeblendet und es stand in riesigen Buchstaben quer über die Leinwand “Trump ist ein Schwein”.

Während des letzten Liedes der Song-Trilogie, “Money”, blieb es währenddessen genauso kunterbunt und zusätzlich zu Trump kriegten auch die restlichen Politiker und Machthaber der Welt ihr Fett weg. Blusig fuhr die Band dann mit “Us+Them” fort. Und ungefähr ab da endete für mich dann das Konzert rund 20min vor dem eigentlichen Finale. Ich musste den Zug erwischen.

Faszinierend und erdrückend zu gleich

Musikalisch, so rein zum Zuhören, hatte mir das Konzert gut bis sehr gut gefallen. Es war schon anders, als die meisten Konzerte, die ich hören gehe. Aber mit den ganzen Gitarren oder Saxophon Soli, den fliessenden Übergängen und coolen Visuals war das wirklich sehr cool. Die ganzen bunten, oft schrägen Grafiken waren manchmal etwas hypnotisierend. So war eigentlich auch die Stimmung im Publikum gut. Die meisten Zuschauer schienen sehr aufmerksam zuzuhören, die Band aber auch richtig zu feiern.

Gemischt mit den Flüchtlings- und Kriegsbilder, die da auf mich einprasselten, fühlte ich mich teils fast etwas überrannt. Richtig, das Ganze ist absolute Realität und am aktuellen Weltgeschehen gibt es nichts schön zu reden. Ich bin überhaupt nicht die Person, die am meisten Ahnung von Politik hat. Empfinden tat ich es dann aber doch etwas als extrem. Man liest und sieht das alles Tag ein Tag aus immer in den Medien. 2,5 Stunden damit berieselt zu werden, wirkte doch manchmal anstrengend und teils erschlagend.

Es war aber auf jeden Fall ein grosses, kunterbuntes und beeindruckendes Spektakel. Am meisten bedauere ich dabei die Laserpyramide während “Eclipse” nicht mehr gesehen zu haben.

Infos und Konzertdaten zu Roger Waters findet ihr hier: rogerwaters.com

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