Konzertbericht: Scooter am Seaside Festival Spiez – Techno-Ikonen im Ausnahmezustand

Der erste Festivaltag des diesjährigen Seaside Festivals in Spiez endete mit einem gewaltigen Knall. Die letzten Stunden des Abends gehörten voll und ganz dem Techno und Rave – und insbesondere einer Musik-Formation, die seit Jahrzehnten den Takt in diesem Genre angibt: Scooter. Auch wenn die Elektromusik nicht grad meine Welt ist, konnte ich nicht leugnen, dass das Trio rund um Frontmann H.P. Baxxter schon längst Kultstatus erreicht hat. Was mich an diesem Abend jedoch erwartete, hätte ich in dieser Form nie kommen sehen.


Ein elektrisierender Start

“Techno is back” – Als Scooter die Bühne betraten, brodelte die Stimmung bereits. Die Menge war mehr als bereit für die harten Beats von “Rave & Shout”, die durch die Lautsprecher dröhnten. Es eine visuelle und akustische Überladung: Bunte Visuals, flackernde Strobos und blendende Lichter fluteten das Festivalgelände. Jeder Song war eine laute, wummernde Inszenierung. Schon nach wenigen Minuten fand ich es schwierig zu unterscheiden, wann ein Track endete und der nächste begann. Die treibenden Beats vermischten sich zu eine fast nahtlosen Welle aus Energie, die die Menge in seinen Bann zog. Naja, die Security wird uns nach drei Songs schon aus dem Fotograben kicken, sollten wir das Ende nicht mehr selbst erkennen.

Ich ertappte mich dabei, dass ich bereits nach drei Songs überlegte, mich auf den Heimweg zu machen. Der monotone Rhythmus und die zu simplen, oft schreiend vorgetragenen Texte forderten meinen Nerven mehr ab, als mir lieb war. Aber die Begeisterung des Publikums und die ausgelassene Stimmung hielten mich schliesslich da. Der Plan, den früheren Zug zu erwischen, wurde verworfen – etwas in mir wollte wissen, wie diese Show weitergehen bzw. enden würde.

Ein Techno-Act von Weltrang

Scooter, deren musikalische Karriere offiziell 1994 begann, zählt zu den erfolgreichsten Techno- und Dance-Acts der Welt. Die Gruppe hat nicht nur Hits wie „Hyper Hyper“, „Move Your Ass!“ und „How Much is the Fish?“ in die Musikgeschichte eingebracht, sondern ist auch bekannt für gewaltige Stadion-Konzerte. Mit über 30 Millionen verkauften Tonträgern und mehr als 500 Wochen in den Single-Charts ist Scooter ein Phänomen, das in der elektronischen Musik seinesgleichen sucht.

Scooter haben sich immer wieder neu erfunden. Jedes neue Mitglied brachte frische Impulse in die Musik ein, doch H.P. Baxxter blieb die konstante Seele der Band. Seit Frühjahr 2023 sind Scooter mit dem neuen Line-up auf ihrer „Thirty, Rough And Dirty“-Tour unterwegs und machten nun auch Halt im schönen Spiez. Ihr aktuelles Album “Open Your Mind And Trousers” schoss auf Platz 2 der deutschen Charts, während ihre Dokumentation „Fck 2020“ ein Kinoerfolg wurde und mittlerweile auf Netflix zu sehen ist.

Komplette Bildstrecke: Scooter am Seaside Festival Spiez


Eine surreale Stille

Mitten in all den grellen Lichtern und lauten Beats kam dann der Moment, der alles veränderte. Kurz vor Showende hielt H.P. Baxxter inne plötzlich inne und erzählte von einem Vorfall, der sich kürzlich ereignet hatte. Ihr langjähriges Crewmitglied Backliner Seb war am Morgen unerwartet verstorben. Die Ankündigung schlug ein wie eine Bombe. Die Stimmung, die noch Sekunden zuvor auf einem absoluten Hoch war, fiel ins Bodenlose. Auf jeden Fall fühlte es sich in dem Moment so an. Mir stockte der Atem. Baxxter bat das Publikum darauf um eine Schweigeminute, und die sonst so lauten und euphorischen Fans wurden still. Bis auf den Zwischenruf dieses einen Idiotens, der “Hyper Hyper” in die Stille brüllte, war es mucksmäuschenstill.

Dieser Moment des Innehaltens war ebenso intensiv wie surreal. Wie sollte die Show jetzt weitergehen? Doch kaum war die Schweigeminute vorbei, kehrte die Band mit voller Wucht in die Show zurück, und das Publikum folgte begeistert. Mit “Hyper Hyper” setzten Scooter die Show fort. Mit HYPER HYPER!?! Der Hit setzte im Nu eine massive Energie frei, und das Fest nahm sofort wieder volle Fahrt auf.

Dieser abrupte Wechsel zwischen Trauer und Feiern war überwältigend. WAS. WAR. DAS? The Show must go on? God save the rave? Ich wusste in dem Moment nicht, ob ich lachen oder weinen sollte – der Moment war die totale Überforderung. Ich war ziemlich sprachlos und konnte die Situation erst gar nicht richtig aufnehmen. Nein, ich war so ja nicht persönlich betroffen. Kannte diesen Mann nicht. Aber was war da bitte gerade geschehen?

Zwischen Show und Tragödie

Im Nachgang erfuhr ich im Medienzentrum, dass auf dem Weg nach Spiez plötzlich das Crewmitglied verstorben war und dadurch in Erwägung gezogen wurde, die Show abzusagen. Ja, verständlich! Ersatzacts standen bereit, falls Scooter nicht auftreten wollten. Doch die Band entschied sich, weiterzumachen. Ich schwankte zwischen Faszination und Überforderung. Diese Gegensätze innerhalb einer einzigen Stunde waren irgendwie schwer zu verarbeiten. 

Die Show war ein wahres Spektakel mit knalligen Visuals, teils in Neonfarben tanzende Aerobic-Damen und Pyrotechnik, die die Bühne fast in Brand setzte. Am Ende bleibt mir eines fest im Gedächtnis: Scooter wissen, wie man ein Publikum bewegt! Sie brachten uns von einem emotionalen Hoch ins absolute Tief und katapultieren uns im Nullkommanix wieder zurück. Ich war gleichermassen schockiert wie beeindruckt.  Hut ab vor dieser Gruppe, die selbst in so einem schwierigen Moment ihre Show durchgezogen hat. Und auch wenn die Musik nicht meins ist – die Anerkennung für das Geleistete sowie ihren Kultstatus haben sich Scooter mit ihren Erfolgen und solchen Shows mehr als verdient.

Webseiten:
scootertechno.com
www.seasidefestival.ch